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Es geht nicht »nur« ums Kajakfahren!

Der Ausbau des Kraftwerks Kaunertal: Warum sollte einen das als Paddler interessieren? Schließlich kann man im Kaunertal nicht Kajak fahren. Ganz einfach: Alle geplanten Wasserausleitungen für die Erweiterung des Kaunertal-Kraftwerks kommen aus dem Einzugsgebiet der Ötztaler Ache – und damit aus Österreichs Wildwasser-Hotspot Nummer eins (Text: Anne Stevens/WET Tirol).

großes Foto: Anne Steinkogler

Ja, die Ötz: zehn Kajakstrecken von WW I bis V, eine unvergleichliche Vielfalt an Weltklasse-Wildwasser in einem Tal, Wassersicherheit von Frühjahr bis Herbst und nicht umsonst Austragungsort der ehemaligen Sickline und jetzt der Oetz Trophy. Und jetzt der »Ausbau« des Kraftwerks Kaunertal. Klingt ja erstmal harmlos – das Kraftwerk steht ja schon, was spricht dagegen, es zu erweitern, um die vorhandenen Ressourcen effizienter zu nutzen? Bei genauerer Betrachtung wird schnell klar, dass hinter diesem Ausbau ein Megaprojekt steckt, das sich mit mehreren Stauseen, Dämmen, Tunneln und Kraftwerken über die kompletten Ötztaler Alpen erstreckt. Das größte Wasserkraft-Projekt Mitteleuropas der letzten Jahrzehnte wird sechs Flüsse und Bäche betreffen, ein unberührtes Hochtal für einen riesigen Stausee fluten und das gesamte Ötztal entwässern. Wenn der Ausbau des KW Kaunertal genehmigt wird, werden bis zu 80 Prozent des Ötztaler Wassers aus dem Tal abgeleitet. Mit verheerenden Folgen für das Ötztal als Kajak-Destination: Alle Kajakstrecken wären betroffen. Der Großteil der Venter Ache und die komplette Ötztaler Ache werden zu Restwasserstrecken, eine 25 Meter hohe Betonstaumauer ist mitten in der »Oberen Venter Ache« geplant.

Meist zu wenig Wasser

Mit nur 20 Prozent ihrer natürlichen Wasserführung hätten die Venter und Ötztaler Ache die meiste Zeit des Jahres auf den meisten Abschnitten zu wenig Wasser zum Kajakfahren – auch im Sommer. Was das Ötztal so besonders und zu einem der beliebtesten Kajakreviere Europas macht, ist die Auswahl und Vielfalt der Flussabschnitte und die Wassersicherheit von Frühling bis Herbst. Nirgendwo sonst in Europa gibt es so viele verschiedene Kajakstrecken mit sehr leichtem bis extrem schwerem Wildwasser in einem Tal, nirgendwo sonst fast das ganze Jahr über befahrbare Pegel, nirgendwo in Mitteleuropa verlässliche Wasserstände im Herbst. Mit dem Ausbau des Kraftwerks wird das Ötztal im Herbst auf keinem Abschnitt mehr fahrbare Wasserstände bieten, im Frühjahr und Sommer deutlich weniger Paddeltage und keinerlei Vielfalt. Sommerliche Wuchtwasser-Pegelstände werden sehr selten und Fahrten schwer zu planen. Tage oder Wochen mit paddelbaren Wasserständen werden schwer vorhersehbar, eine langfristige Urlaubsplanung fast unmöglich.

Massive Folgen für die Umwelt

Aber: Es geht nicht nur ums Kajakfahren. Schon klar – der Strom kommt nicht einfach aus der Steckdose. Sicher müssen Opfer gebracht werden, immerhin stecken wir in einer Klimakrise und gleichzeitig in einer Energiekrise – und brauchen mehr erneuerbar produzierten Strom. Der Energiehunger übertrumpft wohl die paar protestierenden Kajakfahrer, die nur ihren Lieblingsspielplatz behalten wollen.
Oder? Das kleine österreichische Bundesland Tirol produziert deutlich mehr Strom, als es verbraucht, und diesen fast ausschließlich aus Wasserkraft – obwohl auch andere erneuerbare Energiequellen großes Potenzial haben. Die Wasserkraft in Tirol steht kurz vor dem Totalausbau: Es gibt knapp 1000 Wasserkraftwerke und kaum einen Bach oder Fluss, der noch nicht durch die energiewirtschaftliche Nutzung beeinträchtigt ist.
Die Ötztaler Ache ist nicht nur Tirols, sondern ganz Österreichs letzter großer Gletscherfluss, der noch nicht massiv ausgeleitet wird. Und das, obwohl die Wissenschaft sich zum Thema Wasserkraft einig ist: Im Vergleich zu allen anderen erneuerbaren Energiequellen sind die negativen Auswirkungen der Wasserkraft größer. Gleichzeitig sind Flussökosysteme unter anderem durch den hohen Ausbaugrad der Wasserkraft schon massiv überlastet. Wasserkraft sollte also nur mit größter Umsicht eingesetzt werden. Sie ist in den seltensten Fällen die nachhaltigste oder sinnvollste Lösung – leider aber fast immer die profitabelste. Mit noch mehr Wasserkraft wird die Energiekrise in Tirol nicht gelöst. Mit noch mehr Naturzerstörung kann auch die Klimakrise nicht bekämpft werden. Und es bleibt die Frage: Was sind uns die letzten wilden Flüsse der Alpen und letzten intakten alpinen Naturräume wert?

»Kulturgut für Kajakfahrer«

Und selbst wenn es einem doch nur ums Paddeln geht – die Ötztaler Ache ist auch allein aus Paddlersicht etwas ganz Besonderes. Im Ötztal kann man paddeln lernen – und Profi werden. Nicht umsonst ist die Wellerbrücke Austragungsort der Extreme Kayak World Championships, nicht umsonst hat eine beachtliche Anzahl von Weltklasse-Kajakprofis die Region zu ihrer Wahlheimat gemacht. Wir nennen die Ötztaler Ache »Kulturgut für Kajakfahrer« – und dieses Kulturgut braucht dringend Schutz.
Wer zu diesem Schutz beitragen will, kann jetzt die Petition »Stopp Ausbau Kraftwerk Kaunertal« unterschreiben und verbreiten: www.wet-tirol.at. Oder dem Verein WET Tirol auf den sozialen Medien folgen, Mitglied werden oder ihn mit einer kleinen Spende unterstützen. WET Tirol hat einen Film zum Thema produziert: Wer eine Vorführung von »Bis zum letzte Tropfen« organisieren möchte, schreibt per Mail an: info@wet-tirol.at.

Weitere Infos zum Ausbau KW Kaunertal: https://stubaiwasser.at/kw-kaunertal-erweiterung/
Weitere Infos zu den Auswirkungen auf das Ötztal als Kajakrevier: https://stubaiwasser.at/kw-kaunertal-vs-kajaksport/

Petition: https://stubaiwasser.at/kampagnen/oetztal

Link zum Trailer des Films: https://www.youtube.com/watch?v=2SV92y2441I

Mehr zum Thema gibt es im nächsten KANU Magazin, Ausgabe 3/2023, im Handel ab 6. April 2023.