Deutschland Reise

Die Sieg ist unser!

Auf immer wieder spritzigem Wasser durch eine traumhafte Wald- und Berglandschaft: eine Erkundung des Sieg-Tals auf Rad- und Wasserwegen. (Text: Samira Kassel)

Samira Kassel

»Wums!«. Ein Ruck geht durchs Auto. Gerade noch wollte ich erleichtert aufatmen, dass ich es knapp vor der heruntergehenden Bahnschranke geschafft habe, das Auto zum Stehen zu bekommen. Da knallt mir einer von hinten drauf. Zugegeben, ich habe auch eine echte Vollbremsung hingelegt. In Gedanken war ich bereits an der Sieg, dem Einsatzort dieser Kombi-Tour aus Kanu- und Radfahren. Die Sieg ist ein 155 Kilometer langer Kleinfluss in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Sie entspringt im Rothaargebirge und mündet zwischen Bonn und Niederkassel in den Rhein. Für Kanuten am reizvollsten ist der Flussabschnitt von Wissen bis Siegburg. Hier fließt die Sieg mit rascher Strömung und klarem Wasser durch ein abwechslungsreiches Auental zwischen hohen bewaldeten Hügeln und grünen Wiesen hindurch. Gleichzeitig führt ein familienfreundlicher und idyllischer Radweg durchs Tal des Flusses. Gemeinsam mit Gerd und unseren beiden Hündinnen Luzy und Fly will ich jeden Tag eine kleine Etappe paddeln und anschließend mit den Fahrrädern das Auto nachholen. Wir haben schon viele europäische Klein- und Großflüsse auf diese Weise abgeklappert. Die heimatnahe Sieg jedoch kennen wir bisher nur aus Flussführern. Es wir Zeit, daran etwas zu ändern!

Canadier im Vorgarten
Schnell begeben wir uns aus dem Auto, um den Unfallschaden zu begutachten. Ein junger Mann steigt aus dem Wagen hinter uns. »Sorry, bin zu dicht aufgefahren«, murmelt er verlegen. Gemeinsam besehen wir den Schaden. Außer zwei demolierten Nummernschildern lässt sich keine schwerwiegende Schädigung feststellen. Erleichtert über den glimpflichen Ausgang dieses Zusammenstoßes steigen alle wieder in ihre Autos ein, gerade rechtzeitig bevor die Schranke sich hebt.
Eine knappe halbe Stunde später erreichen wir Dattenfeld. Dort am Wehr gibt es eine offizielle Kanu-Einsatzstelle. Hier werden wir unsere Fahrräder abstellen, um anschließend mit dem Auto flussaufwärts nach Schladern zu fahren und dort unsere erste Mini-Paddeletappe zu starten. Fünf Kilometer paddeln, fünf Kilometer radeln, einen geeigneten Übernachtungsplatz suchen – das hört sich nach einem guten Plan für einen entspannten Nachmittag an.

»Dort vorne am Schild können wir die Fahrräder anschließen«, schlägt Gerd vor. Ich nicke und lade die Räder vom Heckgepäckträger ab. Dabei stelle ich fest, dass der Gepäckträger nicht mehr fest sitzt. Gerd schaut sich die Sache genauer an und hat plötzlich den gesamten Gepäckträger in der Hand. Wie sich herausstellt, ist die Halterung und Arretierung des Fahrradträgers zerbröselt, vermutlich beim Zusammenprall vor der Bahnschranke. Was nun? Unsere Tour steht und fällt damit, dass wir mit den Rädern nach jeder Paddeletappe das Auto nachholen können. »Jetzt sehen wir erstmal zu, dass wir eine kleine Runde paddeln und radeln. Es ist noch früh am Tag. Nachher, wenn wir mit den Rädern wieder beim Auto in Dattenfeld sind, lösen wir das Problem mit dem Radträger«, beschließt Gerd. Erst das Vergnügen, dann die Arbeit! Eine Viertelstunde später sehen wir den Sieg-Wasserfall in Dattenfeld vor uns. Vor einer beeindruckenden Felswand fällt das Flussbett in mehreren Stufen steil bergab. Dahinter geht es in ein tiefes idyllisches Tal, das auf beiden Seiten von hohen, bewaldeten Hängen gesäumt wird. Wir folgen einer kleinen Stichstraße flussabwärts. Am Ende dieser Straße befindet sich unterhalb des Wasserfalls in einem kleinen Waldstück ein einsamer Parkplatz mit Wasserzugang. Wir laden den Canadier vom Dach, ziehen Schwimmwesten an und tauchen ein in das landschaftlich herrliche Tal der unteren Sieg. Stellenweise ist es gar nicht so einfach, den besten Weg mit dem meisten Wasser und den wenigsten Steinen zu finden. Als Vordermann lotse ich uns durch jede Stromschnelle, meist ohne aufzusitzen. »Jetzt ist mir auch klar, warum es hier einen Mindest-Pegel gibt«, sage ich über die Schulter nach hinten zu Gerd. Über die zügige Fahrt durch eine abwechslungsreiche Flusslandschaft vergesse ich beinahe den kaputten Gepäckträger.

Viel zu schnell erreichen wir Dattenfeld. Nachdem wir den Canadier oberhalb der Uferböschung ins hohe Gras gelegt haben, schwingen wir uns auf die Fahrräder. Genau in diesem Moment öffnet sich das Fenster eines kleinen, gepflegten Fachwerkhäuschens. Ein bärtiger alter Mann lehnt sich heraus und begutachtet uns. Wir nicken ihm freundlich zu. Dann deutet er in Richtung unseres Canadiers. »Wollt ihr den da einfach so liegen lassen?«, fragt er. »Ja, klar. Morgen kommen wir wieder und paddeln weiter«, erkläre ich ihm gut gelaunt. Er wiegt bedenklich den Kopf. »Bisher ist uns noch nie etwas geklaut worden. Hast du hier Bedenken?«, fragt Gerd. »Ich würd’s nicht drauf ankommen lassen. Legt das Boot mal lieber in meinen Garten«, antwortet der freundliche Herr und deutet auf ein Stück umzäunten Rasen neben seinem Haus. Gerd und ich schauen uns an. Wir können es kaum fassen, dass dieser fremde Mann uns seinen Garten als sicheren Bootsliegeplatz anbietet. Wir steigen wieder von den Rädern ab und legen unseren Canadier in den Vorgarten des malerischen Fachwerk-Häuschens. »Da fällt mir noch was ein. Kannst du uns sagen, wo es hier in der Nähe einen großen Fahrradladen gibt, der Heckgepäckträger fürs Auto verkauft?«, nutzt Gerd die Gunst der Stunde. Der ältere Herr überlegt eine Weile, dann hellt sich sein Gesicht auf. »Ungefähr zwölf Kilometer von hier, in Waldbröl, gibt es ein großes Zweirad-Geschäft, direkt beim Rewe«, teilt er uns mit. Wir bedanken uns gleich nochmal und radeln endlich los.
Eine knappe Stunde später erreichen wir unser Auto, dass einsam im Schatten einiger hoher Bäume auf uns wartet. Kaum sind die Fahrräder angeschlossen, geht es auch schon weiter, auf nach Waldbröl. Dort finden wir auf Anhieb das Fahrradgeschäft und haben zum dritten Mal an diesem Tag Glück. Wir ergattern den letzten vorrätigen Radträger. Erleichtert kehren wir mit dem neu montierten Radträger nach Schladern zurück. Nun kann dieser Kurztrip auf der Sieg so richtig losgehen!

Fluss-Duschen
Der Vollmond verschwindet gerade hinter dem Wald im Westen, als im Osten bereits die Sonne aufgeht. Noch ist es kalt und feucht im Tal der Sieg, doch es verspricht ein sonniger Frühlingstag zu werden. Nach dem ersten Kaffee machen wir uns auf den Weg zum Endpunkt der heutigen Etappe in Halft. Am dortigen Sportplatz stellen wir unsere Fahrräder ab. Unter der Fußgängerbrücke in Halft befindet sich zwar keine offizielle Ausstiegsstelle, aber eine kleine Bucht, wo wir gut anlanden und unseren Canadier die Uferböschung hoch bugsieren können. Wir entscheiden uns aus zwei Gründen für diese inoffizielle Ausstiegsstelle. Erstens sind die offiziellen Ein- und Ausstiegsstellen an der Sieg am Wochenende häufig allzu gut besucht. Zweitens sind die 15 Kilometer von Dattenfeld nach Halft eine gute Etappenlänge für einen entspannten Tag.

In Dattenfeld finden wir unseren Canadier wohlbehütet von den wachsamen Augen des netten alten Herrn vor. Er wünscht uns eine gute Fahrt und wir winken zum Abschied. Die Sieg ist naturbelassener und spritziger als erwartet, sehr zu unserem Vergnügen. Ab und an setzen wir zwar leicht auf, doch insgesamt führt der Fluss genug Wasser. Im Sommer sieht das sicherlich anders aus. Alle paar hundert Meter kommen kleine Stromschnellen. Von Langeweile keine Spur, stets gilt es abzuschätzen, wo der beste Weg mit dem meisten Wasser durch die Steine hindurchführt. Für blutige Anfänger ist der Fluss nicht geeignet. Dafür ist Paddelspaß garantiert. Teilweise sind die Schwallwellen so hoch, dass ich im Bug eine Dusche abbekomme. Das kommt mir bei diesem warmen Wetter gerade recht. Reinfallen möchte ich hingegen nicht. Die Wassertemperatur beträgt jetzt Ende März nur zwölf Grad.
Drei Kilometer vor Halft kündigt sich das erste und einzige Wehr auf dem von uns bepaddelten Flussabschnitt an. Die Strömung nähert sich dem Nullpunkt, und es geht einen langweiligen Kilometer mehr oder weniger geradeaus. Das Wehr gehört zu einem Wasserkraftwerk. Direkt am linken Ufer befindet sich eine schmale Bootsrutsche. Diese führt zwar zu wenig Wasser, um sie mit einem voll besetzten Canadier zu befahren, aber zum Treideln des Kanus reicht es allemal.
Keine Viertelstunde später sehen wir vor uns die Fußgängerbrücke von Halft, der Endpunkt der heutigen Paddeletappe. Aber wir sind noch lange nicht am Ende. Wir legen den Canadier seitlich des Radwegs ins Gebüsch unter die Brücke und schwingen uns auf die Räder. Vor uns liegen 15 Kilometer auf dem gut ausgebauten Sieg-Radweg, der die meiste Zeit direkt am Fluss entlangführt. Die kleinen schmucken Ortschaften am Wegesrand sind genauso schön anzusehen wie die grünen Wiesen mit den blühenden Obstbäumen.

Kirschblüten und Pferdedung
Am nächsten Tag krabbele ich voller Aufregung und Vorfreude aus dem Bett im hinteren Teil unseres Kleinwagens. Heute liegt die spritzigste und abwechslungsreichste Etappe dieses dreitägigen Trips vor uns, von Halft nach Oberauel. Diesmal werden wir das Auto in Oberauel abstellen und mit den Fahrrädern flussaufwärts zum Boot radeln. So können wir am Nachmittag den Canadier gleich aufs Autodach laden und auf dem Nachhauseweg die Räder einsammeln.

Es duftet nach Kirschblüten, Pferdedung und grünem Gras, während wir entlang des Flusses dahinradeln. Doch schon nach kurzer Zeit führt der Radweg vom Fluss weg einen bewaldeten Hügel hinauf. Auf mittlerer Höhe schlängelt sich der Weg am Berghang links des Flusses entlang. Zwischen dem lichten Laubwald gibt es immer wieder Stellen, von denen aus man eine tolle Aussicht auf die umliegende Landschaft hat. Einige Kilometer weiter finden wir uns dann direkt am Flussufer wieder. Kurz darauf haben wir auch schon Halft erreicht. Nur noch schnell ein Käsebrot und einen Müsliriegel essen, dann geht’s los. Eine Stromschnelle folgt der anderen, ohne dass es in irgendeiner Form stressig werden würde. Häufig steuere ich den Canadier alleine von vorne durch die Wellen, während Gerd hinten filmt und fotografiert. Luzy und Fly sitzen mit gespitzten Ohren und wachem Blick hinter mir.Im schrägen Schein der Nachmittagssonne erreichen wir schließlich unser Auto und somit das Ende dieser Tour durchs Tal der Sieg. Es war ein Kurztrip, der sich gelohnt hat. Eine Einheimische hat uns erzählt, dass die Sieg auch hinter Oberauel noch bis Siegstadt sehr interessant weitergeht. Eines Tages werden wir uns davon überzeugen.

Reiseinfo Sieg

Ein-/Ausstieg: Gestartet zu unserer dreitägigen Kanutour auf der Sieg sind wir in Schladern unterhalb des Sieg-Wasserfalls. Dort gibt es einen abgelegenen Wald-Parkplatz direkt am Fluss. Dort kann man das Auto unentgeltlich mehrere Stunden oder auch Tage stehen lassen.
Endpunkt unserer Tour war der kleine Ort Oberauel, rund 35 Kilometer flussabwärts von Schladern gelegen.

Zurück zum Auto: Durch das Tal der Sieg führt ein schöner und gut ausgebauter Radweg, der sich gut eignet, um das Auto täglich mit dem Fahrrad nachzuholen. Dafür bringt man die Räder entweder mit dem Auto an die jeweils vorgesehene Ausstiegsstelle, stellt sie dort ab und fährt anschließend mit dem Auto wieder zurück zum Kanu. Einfacher ist es natürlich, wenn das Wassergefährt genug Platz für die Mitnahme von Fahrrädern bietet. Besonders gut eignen sich hierfür Klappräder. So kann man sich täglich einmal hin und her fahren mit dem Auto sparen. Alternativ dazu führt eine Bahnlinie durch das Sieg-Tal, so dass man auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück zum Auto gelangen kann.

Übernachtung: Da wir im Auto übernachtet haben, waren wir in der Wahl des Übernachtungsplatzes nicht an Campingplätze oder Kanuvereine gebunden. Oft haben wir uns einsame Parkplätze am Flussufer gesucht, wo wir unauffällig und ohne Spuren zu hinterlassen campierten. Wer jedoch mit dem Zelt unterwegs ist, sollte darauf achten, die ausgewiesenen Zeltplätze zu nutzen. Die Ufer der Sieg sind vielerorts Landschaftsschutzgebiete, in denen Campieren verboten ist. Es gibt aber einige schön gelegene Campingplätze entlang des Flussufers.

Pegelstände: Wichtig ist es, sich vor einer Befahrung der Sieg nach den aktuellen Pegelständen zu erkundigen, da eine Befahrung bei Niedrigwasser nicht erlaubt ist. Aktuelle Informationen zu den Pegelständen findet man im Internet (siehe auch Kasten »Befahrungsregeln«).

Literatur: Orientiert haben wir uns mithilfe der Flussbeschreibung der Sieg im DKV-Kanuführer: Deutsches Flusswanderbuch: Kanuführer für Deutschland (DKV-Regionalführer), Taschenbuch, von Günter Eck (Herausgeber), Deutscher Kanu-Verband (Herausgeber).

Kasten
Befahrungsregeln

Auf der Website des deutschen Kanuverbands lässt es sich vortrefflich nach Befahrungsregeln fahnden: https://www.kanu.de/FREIZEITSPORT/Befahrungsregeln-75607.html

Zur Sieg heißt es hier:

Von km 95.8 bis 89.0: Dieser Abschnitt sollte in der Zeit von Mai bis August aus Na­tur­schutzgründen nicht befahren werden (freiwillige Selbst­be­schrän­kung, um eine Sperrung zu vermeiden).
Von km 75.5 bis 38.3 (Str.Br. L267 – Str.Br. L86): ganzjähriges Befahrungsverbot, wenn Pegel Betzdorf unter 55 cm, Uferbetretungsverbot mit Ausnahme festgelegter Ein- und Ausstiegsstellen. Täglich max. 50 Boote.
Von km 38.3 bis 0: ganzjähriges Befahrungsverbot, wenn Pegel Eitorf unter 30 cm, Uferbetretungsverbot mit Ausnahme festgelegter Ein- und Ausstiegsstellen. Zwischen Eitorf (km 41) und Wehr Siegburg (km 16) täglich max. 100 Boote, zwischen Wehr Siegburg und Mündung täglich max. 50 Boote.