Auf den Spuren von Philip Gilbert Hamerton: Klaus Kurre ist in der Ausbildung von Übersetzern und Redakteuren tätig. Seine wahre Leidenschaft gehört jedoch alten Stichen und Radierungen, Büchern und Karten. Und so hat er 2021 das Buch »The unknown river« des britischen Künstlers Philip Gilbert Hamerton übersetzt, in dem dieser seine Kanufahrt auf dem französischen Fluss Arroux im Jahr 1866 schildert – und mit 37 Ätzradierungen illustriert.
Herr Kurre, Sie haben ein Buch übersetzt, das vor 150 Jahren erschienen ist, von einem Autor, der schon lange verstorben ist – was fasziniert Sie eigentlich so an diesem Projekt?
Alles. Der Fluss – oder soll ich sagen: Autun und das Burgund? Das Paddeln in einem selbst gebauten Kanu. Die Idee, während der Reise Ätzradierungen anzufertigen. Wissen Sie: Ich habe mich seit 2003 mit Radierung und Kupferstich beschäftigt, habe eine eigene Druckerpresse in meinem Arbeitszimmer und fotografiere, seit ich 1976 den ersten Fotoapparat von meinem Patenonkel bekommen habe. Und zu guter Letzt fasziniert mich natürlich der Autor. Hamerton hat sein Ding gemacht, wie Udo Lindenberg heute singen würde. Er hat sich Holzstäbe anfertigen lassen, hat das Gerüst gebaut, mit Papier umwickelt und dann mit einem gerade erst erfundenen Kunstharz bestrichen und abgedichtet – den er leider nicht lange genug hat aushärten lassen.
Warum hat sich Hamerton eigentlich für Ätzradierungen auf Kupferplatten entschieden? Man sollte ja meinen, dass man auf einer Kanufahrt um Gewichtseinsparung bemüht ist …
Genau das war eines der Dinge, die mich zunächst auch erstaunten. Und Sie haben recht: Natürlich hätte es ja auch schon die Möglichkeit der Fotografie gegeben. Aber Hamerton war eben Künstler. Radierkünstler, um genau zu sein, denn er hat diese Kunst, die gerade in Vergessenheit zu geraten drohte, mit seinen Standardwerken wie beispielsweise »Etching & Etchers« von 1868 wiederbelebt. Er konnte zeichnen und wusste, dass er mit seinem selbst gebauten Kanu sicherlich auch das eine oder andere Mal kentern würde. Es war alles zu neu. Und so bot es sich einfach an, mit einer Radiernadel in eine mit einem Asphaltlack als Ätzgrund bestrichene Kupferplatte zu zeichnen. Wenn diese Platte ins Wasser fällt, passiert nichts mit der Zeichnung – rausholen und weiterzeichnen. Nur die Unterbringung der Platten (und ihre Verteilung) erforderten einige Planung. Aber dazu schreibt er ja selbst ein paar Sätze …
Sie selbst waren ja auch schon auf dem Arroux paddeln, und das vor gar nicht langer Zeit. Können Sie die Faszination des Künstlers für diesen Fluss nachvollziehen?
Ich komme gerade aus dem Burgund zurück, in das es mich seit nunmehr 27 Jahren immer wieder zieht. Ich bin dort mit dem Auto herumgefahren, war in den 90er Jahren als Reiseleiter dort unterwegs, bin vor Ort mit Brüdern und Freunden geradelt oder gewandert. Dabei hatte ich den Arroux immer nur als eher stillen Fluss wahrgenommen. Hamertons Beschreibungen klingen an vielen Stellen ganz anders. Diesmal bin ich nun endlich ins Boot gestiegen und bin zumindest einige Etappen gepaddelt. Der Wasserstand hat es leider nicht erlaubt, wie Hamerton in Voudenay-le-Château zu beginnen, doch hatte ich Gelegenheit, die Orte zumindest zu besuchen und mir einen Eindruck von dieser Landschaft zu machen, in der es heute noch Weiler gibt, die nur aus einem oder wenigen Gehöften bestehen. Ich glaube nicht, dass sich die Landschaft seit Hamertons Zeiten wesentlich geändert hat. Man kommt außerhalb der Ortschaften – damals wie heute – meist gar nicht an den Fluss heran.
Haben Sie eigentlich auch sonst ein Faible für Altes und Antiquarisches? Und könnten Sie sich vorstellen, dass sich das in der Zukunft nochmal mit dem Paddelsport verbinden lässt?
Sie stehen in meinem Büro. Man könnte es auch als Familienmuseum bezeichnen, denn neben meinen Tagebüchern, die ich mit Unterbrechungen seit der Gymnasialzeit führe, finden sich hier hunderte von Stichen, deren früheste sich bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts datieren lassen. Mein Wohnzimmer sieht aus wie die gute Stube meiner Großmutter. Die Orga-Privat (Anm. d. Red: Schreibmaschine aus den 1920er Jahren) meiner Eltern konnte ich nicht retten und auch nicht das Grundig-Röhrenradio, aber ich habe Ersatz gefunden. Und ich habe die ersten Fotoapparate meines Großvaters, Vaters, von mir sowie meine erste Digitalkamera, eine Nikon E775 von 2001 mit sagenhaften 2,1 Megapixeln. Heute muss man nicht mehr in Kupfer stechen aus Angst vor dem Kentern. Viele Handys sind (ziemlich) wasserdicht, und tatsächlich hat meines ein Kentern ohne weiteres überstanden.
Was den Paddelsport betrifft, so plane ich ein weiteres Projekt. Aber auch mit Hamerton bin ich noch lange nicht fertig und denke schon über ein Folgeprojekt nach. Eigentlich bin ich schon mittendrin.
Das Buch:
1866 hat Philip Gilbert Hamerton seine Kanufahrt unternommen, 1871 erschien sein Buch »The unknown river«. Danach dauerte es 150 Jahre, bis jemand das Werk ins Deutsche übersetzte: 2021 erschien die deutsche Fassung unter dem Titel »Der unbekannte Fluss« als 116-seitiges, gebundenes Buch im Selbstverlag des Übersetzers Klaus Kurre. Eine Bestellung zum Preis von 17,50 Euro (zzgl. 2,50 Euro Versand innerhalb Deutschlands) ist per E-Mail an klaus@kurre.de möglich (Bezahlung per Paypal oder Überweisung). Das Buch ist auch bei Amazon erhältlich, als eBook ist es bei Apple Books verfügbar. Weitere Infos: kurre.de
Im aktuellen KANU:
Das Interview in voller Länge, Hamertons erste Reisebeschreibung unter dem Titel »A Canoe Voyage« aus dem Jahr 1867 mitsamt einigen Ätzradierungen sowie eine Reportage über Klaus Kurres Kanufahrt auf dem Arroux im Jahr 2021.
Das Heft ist noch bis zum 3. Februar im Handel und außerdem hier zu haben:
https://shop.jahr-tsv.de/kanu/2047728?itemId=2047728&productId=70521288