Young_Pirates_1

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Sie können paddeln? Beherrschen Wildbäche oder haben schon längere Touren absolviert? Dann ist die hohe Schule des Seekajakfahrens der richtige Schritt, um ein kompletter Paddler zu werden, ein Meister aller Klassen. Der legendäre Nigel Foster erklärt in seinem siebenteiligen Workshop die wichtigsten Feinheiten und Unterschiede.

Nicht nur im Wildwasser, auch beim Seekajakfahren muss man sich mit Felsen auseinandersetzen, die die Strömung beeinflussen und je nach Situation großes Spiel- oder Gefahrenpotenzial bergen. Am einfachsten zu erkennen sind Felsen, die weit aus dem Wasser ragen, manche sind jedoch nur teilweise überspült oder lauern komplett unter Wasser. Auch die Beschaffenheit des Gesteins spielt eine Rolle: »Weiche« Küstenlinien aus Kalk oder Sandstein sind für Paddler weniger interessant. Die Wellen nagen sich schnell in das Gestein und bringen so ganze Klippen zum Einsturz. Bei Flut reflektieren diese oft vertikalen Abrisskanten die Wellen, und es entsteht eine chaotische Strömungszone, die Clapotis (französisch für »Geplätscher«).
Anders hartes Gestein: Natürliche Bruchlinien und widerstandsfähiges Gestein lassen eine zerklüftete Küste mit Spalten, Höhlen und Brandungspfeilern entstehen. Bei ruhigen Bedingungen gibt hier das tiefe, klare Wasser zwischen den Felsen den Blick frei auf die faszinierende Meereswelt. Doch schon ein bisschen Dünung, und plötzlich findet man sich inmitten von Gegenströmungen, Brandungswellen und pumpendem Wasser wieder. Jetzt braucht es nicht nur eine gute Paddel­technik, sondern auch ein theoretisches Verständnis der Gegebenheiten. Darauf sollte man beim Küstenpaddeln vorbereitet sein:

Überspülte Felsriegel
Halte nach parallel zur Küste liegenden Fels­riegeln Ausschau, die zwischen den Wellen aus dem Wasser schauen. Kommt nun ein Set herein, überspülen die Wellen den Fels. Mit dem richtigen Timing kannst du so das Hindernis überwinden. Aber Achtung: Hinter dem Fels kann sich eine kräftige Walze bilden. Außerdem kann es pas­sieren, dass dich das zurückströmende Wasser wiede­r über den Fels aufs offene Meer schleudert. Außer Kontrolle in zwei Richtungen über scharfkantige Steine gezogen zu werden, ist kein Spaß! Nimm dir also Zeit und beobachte die Dünung, bevo­r du über die Felsen paddelst.

  • Wie ist der Fels beschaffen? Gibt es scharfe Kanten oder spitze Muscheln, an denen man sich verletzten kann?
  • Ist hinter dem Hindernis genug Platz für das Kajak?
  • Ist die Wassertiefe ausreichend, auch wenn in einer Windflaute keine Wellen über den Fels­riegel schwappen?

Entschließt du dich für einen Versuch, ist das Timin­g entscheidend. Um möglichst viel Wasser zwischen dir und dem Fels zu haben, musst du gena­u mit der Welle paddeln. Bist du zu früh dran, surfst du in der Welle und bohrst voraussichtlich die Spitze in den Fels. Zu spät, und du riskierst, auf dem Trockenen zu landen. Am besten übst du vorher am Sandstrand, indem du auf dem Wellenberg mitreitest. Wenn Wellen auf Felsriegel treffe­n, entstehen manchmal eigenartige Strömungen. Sei also wachsam und stelle dich darauf ein, im Notfall kräftig zu arbeiten, um an der Stelle zu bleibe­n und nicht zum Spielball der Wellen zu werden.

Kanäle zwischen Klippen und Fels
Liegt die Durchfahrt parallel zu den anrollenden Wellen, wird die Dünung ansteigen und steiler werden, je schmaler die Gasse wird. Wenn die Welle im Kanal bricht, sollte man nicht einfahren oder zumindest abwarten, bis sich die See etwas beruhigt hat. Anders sieht es bei quer zur Dünung lie-gende­n Passagen aus: Hier strömt das Wasser von beide­n Seiten gleichzeitig ein, bis es sich in der Mitte aufbaut und dann wieder in beide Richtungen abfließ­t. Zwar macht es Spaß, durch solch einen Kanal zu paddeln, allerdings besteht die Gefahr, auf Grund zu laufen, wenn sich das Wasser zurückzieht. In diesem Fall kann man nichts weiter mache­n, als zu warten, bis von beiden Seiten das Wasser auf einen einstürzt – kein schön­er Gedanke.

Höhlen und Tunnel
In Höhlen sollte man nur bei ruhiger See ein­fahren. Es gibt kaum eine schlimmere Vorstellung,  als in einer Höhle zu hocken und ein großer Schwall flutet die Kammer bis unters Dach. Du solltest als­o immer nach tückischen Strömungen Ausschau halten und stets einen Rückzugsplan habe­n. Zum Beispiel kann es helfen, rückwärts in eine Höhle zu paddeln, um im Notfall schneller entkommen zu können. Am besten suchst du dir  aber einfach Höhlen, die vor Wellen geschützt sind.

Man sollte immer auf sein Bauchgefühl hören und sich nicht leichtfertig zu riskanten Manövern hinreißen lassen.


Ruhezonen

Die Steingärten an der Küste sind nicht nur ein toller Spielplatz zum Paddeln, sie können auch als Rückzugsort vor allzu großen Wellen und rauer See dienen. Doch entspanntes »Dümpeln« ist nicht – um im turbulenten Wasser die Position zu halten, muss man sich anstrengen. Eine Technik, die dabei hilft, ist das Wriggen: Dabei steht das Paddel fast senkrecht im Wasser, durch Drehung im Handgelenk und den Blatteinsatz am Bug, in Bootsmitte oder am Heck wird das Kajak ausgerichtet. Diese Technik eignet sich auch bestens für das zielgenaue Durchfahren enger Felspassagen.

Sicherheit
Wenn du beim Paddeln an einer felsdurchsetzten Küste einen Fehler machst, kann es sein, dass du an einer potenziell gefährlichen Stelle festsitzt. Mit etwas Glück spült dich die nächste Welle frei, aus manchen Situationen kann man sich aber nicht mit eigener Kraft befreien. Deshalb ist es wichtig, Gefahren frühzeitig zu erkennen und riskant­e Situationen möglichst zu vermeiden. Gerä­t ein Mitpaddler in Not, ist es wichtig, Ruh­e zu bewahren. Es ist niemandem geholfen, wenn durch eine unüberlegte Handlung plötzlich zwei Leute in der Klemme stecken. Vielleicht kannst du auf einen Felsen klettern und den Kollege­n mit eine­m Wurfsack aus der misslichen Lage befreien? Bist du selbst derjenige, der feststeckt, musst du vermeiden, gege­n den Fels oder scharfe Muscheln geworfen zu werden. Spätestens jetzt wird klar, wieso auch beim Seekajakfahren ein Helm, robuste Paddelkleidung und festes Schuhwerk nicht nur sinnvoll, sondern im Ernstfall auch überlebenswichtig sein können.

Die Notbremse
Manchmal surft man eine Welle oder gleitet durch eine Engstelle, und plötzlich taucht ein Hindernis oder eine scharfe Kurve vor einem auf. Ähnlich dem Abwedeln beim Skifahren kannst du die Notbremse ziehen, indem du das Boot voll aufkantest und dich dabei mit einer flachen oder hohen Paddelstütze stabilisierst. Starte die Stütze etwa im 45-Grad-Winkel hinter dir und stelle das Blatt so, dass du gleichzeitig Stütz- und Schub­wirkung aufbauen kannst. Jetzt führst du das Blatt nach vorn, um das Boot abzustoppen. So bist du in der Lage, das Kajak mit einem Schlag präzise zu stoppen und um 90 Grad zu drehen.

Safety first!
Durch Felsengärten zu paddeln, macht Spaß, gleichzeitig entladen hier Wellen und Strömung all ihre Kraft. Paddler sollten deshalb immer ihre Sicherheitsausrüstung dabeihaben, den Umgang damit beherrschen und als Team funktionieren. Außerdem gilt wie immer, auf das Bauchgefühl zu hören und sich nicht durch Gruppenzwang zu riskanten Manövern hinreißen zu lassen. Befolgt man diese Grundregeln und verfügt man über die nötige Technik, wird die zerklüftete Küste zu einem riesigen Spielplatz mit Spaßgarantie.