Werden Sie Risikomanager
So schön unser Kanusport auch ist, das Restrisiko sitzt immer mit im Boot. Minimieren Sie es durch kluge Planung, kundige Mitpaddler, viel theoretisches Know-how und noch mehr praktische Übungen. ACA-Instructor Raphael Kuner plaudert aus dem Nähkästchen der US-Ausbildungsprofis und verrät die besten Tipps und Tricks für mehr Sicherheit auf dem Wasser.
Einen Workshop über Sicherheit im Kanusport zu schreiben, ist ein bisschen, wie über ein Spiel der Fußball-Bundesliga zu diskutieren – daß Ausmaß an Meinungen, Erfahrungen und Philosophien ist beinahe unendlich. Dieser Umstand erleichtert zwar nicht das Leben und auch nicht das Schreiben dieses Workshops, unterm Strich ist diese Vielfalt aber eine gute Sache. Das Thema bleibt immer ein bisschen kontrovers und somit auch lebhaft und dynamisch. Und das kommt am Ende wieder allen Beteiligten zugute.
Einig sind sich die Fachleute vor allem darin, dass das Thema Sicherheit nicht nur Paddler ab Wildwasser III aufwärts betrifft, sondern ein Thema ist, das alle angeht, die ihr Paddel irgendwo ins Wasser tauchen. Die Annahme »Je weniger jemand paddelt, je einfacher die Flüsse sind, desto geringer ist die Gefahr« kann jedenfalls nicht unterschrieben werden. Wasser hat niemals Balken, egal ob WW I oder VI. Auch deshalb startet der Workshop mit den Basics und verschiedenen Grundüberlegungen.
»Leider wahr: Die meisten Unfälle auf dem Fluss entstehen bereits in der Vorbereitung!«
Die Zielgruppe ist ebenfalls spartenübergreifend. Egal ob Kajaker, Openboater oder Stehpaddler – hier geht es um die Gefahren von fließendem Wasser, ganz gleich, mit welchem Gefährt man darauf antritt. Und letzten Endes steht für mich persönlich immer der Mensch im Mittelpunkt – ob er nun sitzt, kniet oder steht!
Werden Sie Risikomanager
Im Zusammenhang mit dem Thema Sicherheit wird oft der Begriff Risikomanagement verwendet. Er beschreibt die Bemühungen, das vorhandene Risiko zu managen und dadurch zu minimieren oder im Idealfall ganz zu eliminieren.
Die vorhandenen Risiken setzen sich beim Paddeln aus mehreren Faktoren zusammen. Diese beeinflussen sich gegenseitig und haben eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie eintreten. Und sehr unterschiedliche Auswirkungen. Was sich jetzt so trocken anhört, ist in der Praxis recht einfach und anschaulich zu erklären. Ein Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich beim Paddeln ins Wasser falle, ist hoch. Die Konsequenzen, die ohne Präventivmaßnahmen drohen, sind ernst. Also ist ein Wärmeschutz zwingend. Gefahr hoch und Konsequenz ernst. Klar so weit? Beispiel zwei: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich meinen Wurfsack bei einer Kenterung verliere, ist mittel bis gering. Die Konsequenz auf einem Fluss mit vielen Gefahrenstellen allerdings ernst. Gefahr eher gering, Konsequenz ernst. Beispiel drei: Die Gefahr, eine Sonnenbrille im Fluss zu versenken, ist beim Paddeln hoch. Die Konsequenzen sind eher gering. Nach diesem Schema lassen sich die einzelnen Bereiche des Paddelns abschätzen. Am Ende kommt eine Matrix dabei heraus, die sehr genau Auskunft darüber gibt, mit welchem Gefahrenpotenzial man unterwegs ist. Diese Überlegungen sind mitunter etwas trocken, schärfen das Urteilsvermögen über mögliche Gefahren aber enorm. Was bedeutet das nun in der Praxis?
Steckbrief
Raphael Kuner (42) bildet für den Amerikanischen Kanuverband Canadier- und SUP-Instructoren aus. Er ist außerdem der derzeit einzige ACA-Swiftwater-Rescue-Instructor in Europa und seit über 13 Jahren hauptberuflich in der Paddelbranche unterwegs. Infos und Kurse unter www.rafftaff.de.
Sicherheitsplus Fahrkönnen
Das Fahrkönnen ist ein entscheidender Faktor im Risikomanagement. Ein gut ausgebildeter Paddler ist entspannt und sicher unterwegs. Mit dem Können kommen der Spaß und die Lockerheit. Und Lockerheit bedeutet Entspannung.
Kennen Sie noch das Gefühl in der ersten Fahrstunde mit dem Auto? Die persönliche Wahrnehmung pendelt zwischen Gaspedal, Kupplung und Lenkrad – da bleibt kein Raum mehr für einen entspannten Blick auf die Straße. Wer verkrampft am Paddel zieht, hat kaum Kapazitäten für den Blick auf und in den Fluss und die darin lauernden Hindernisse und Gefahren. Klar ist aber, dass man als Paddler immer wieder in Situationen kommt, in denen man über sein Leistungsvermögen hinauswill und -muss, um daran wachsen zu können. Umso wichtiger ist es dann, dass die anderen Risiken minimiert werden. Die Summe ist entscheidend.
Faktor Ausrüstung
Die Ausrüstung ist ein weiterer Faktor, der das Risiko beim Paddeln deutlich minimiert. Wer an der Qualität spart, spart definitiv am falschen Ende und gefährdet im Notfall nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das der Mitpaddler. Das betrifft nicht nur die Sicherheitsausrüstung, es fängt bereits bei der normalen Paddelausrüstung an.
Der alte Paddlerspruch »dress for water, not for air«, also die Kleidung der Wassertemperatur anpassen und nicht der Lufttemperatur, hat nach wie vor grundlegende Bedeutung. Ich würde die Aussage noch um den Zusatz ergänzen »der Umgebung angepasst». Wer nur im künstlichen Kanal spielen geht, darf sich anders ausrüsten als einer, der den ganzen Tag in steinigem, unzugänglichem Gelände unterwegs ist.
Die Ausrüstung ist nur so gut wie ihr Zustand. Altes, von der UV-Strahlung zerfressene und vom sedimentreichen Flusswasser ausgewaschenes Equipment gehört ausgemustert. Ein ganz besonders schönes Beispiel für Ausrüstung, die gern bis zum Auseinanderfallen getragen wird, sind Schwimmwesten. Regelmäßige Checks und Sichtprüfungen nach und vor dem Einsatz stellen sicher, dass die Ausrüstung funktionstüchtig bleibt. Nur so findet man rechtzeitig Beschädigungen, die im Fall des Falles kleine Katastrophen zu großen Katastrophen werden lassen. Der Schultergurt einer Schwimmweste etwa, der im Neuzustand locker viele Hundert Newton Zug wegsteckt, verliert im Laufe der Jahre langsam, aber sicher an Durchhaltevermögen. Gleiches gilt für den Auftrieb, der nur im Neuzustand die Werte erreicht, die in der Bedienungsanleitung genannt sind.
Darüber hinaus sollte man auch nicht vergessen, sich ab und an mit der Funktion seiner Ausrüstung auseinanderzusetzen und damit zu üben. Das fängt beim Bergegurt an der Schwimmweste an und hört beim Wurfsack nicht auf.
Planung ersetzt Zufall
Ein weiterer elementarer Baustein im Risikomanagement ist die Tourenplanung. In diesen Komplex gehören die Auswahl der Mitpaddler, Gruppenorganisation auf dem Wasser, Informationen zur Paddelstrecke, Pegelinformationen und vieles mehr.
Perfekt ist eine kleine, einlaminierte Checkliste mit den wichtigsten Punkten zur Ausrüstung und zum Safetytalk zu Beginn der Tour. Dann setzt auch nie der Schlendrian ein und man vergisst im Eifer des Gefechts kein Detail.
Der obligatorische Blick auf den Pegel und die mögliche Pegelentwicklung, das aktuelle Wetter und die Wetterprognosen sollten zum Standard vor jeder Tour gehören und sind ebenfalls ein wichtiger Schritt, Risiken zu minimieren. Waren diese Informationen früher nur schwer zu bekommen, macht die Mobilfunktechnik den Überblick inzwischen zum Kinderspiel. Ob per Pegel-App oder Wetter-SMS, die Auskünfte sind in Echtzeit verfügbar. Auch ein Blick auf den Regenradar ist ein Kinderspiel und gibt einen guten Überblick über die Großwetterlage und mögliche Gefahren. Nutzen Sie den langen Winter, üben Sie und bereiten Sie sich vor. Und machen Sie sich Gedanken über das sichere und wasserdichte Verstauen Ihres Smartphones. Die Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung ist hoch, die Konsequenz ernst.
Kühler Kopf, wenn‘s heiß hergeht
Ein letzter Baustein im Risikomanagement sind die sogenannten »rescue skills«, also die Fähigkeiten, im Ernstfall besonnen zu reagieren und das in der Theorie Gelernte praktisch umzusetzen. Expeditionspaddler sollten daher das volle Programm mit technischer Bergung, komplexen Seilsystemen und dem Wissen um umfassende Rettungsszenarien beherrschen, für den Genusspaddler auf weniger schwerem Wasser und Tourenpaddler reicht die abgespeckte Version. Auf deren Details gehen wir dann in den folgenden Workshops genauer ein.
Weiterhin sollte eine entsprechende Erste-Hilfe-Ausbildung für den Outdoorbereich nicht fehlen, die inzwischen flächendeckend bei verschiedenen Anbietern im Angebot ist. Auch da gibt‘s keine Ausreden mehr. Nur mit dem achtstündigen Ersthelferkurs vom Führerschein (wann war das noch mal) ist in den meisten Fällen am Fluss nicht viel auszurichten.
In Anlehnung an den Paracelsus-Klassiker »Die Dosis macht das Gift« gilt für den Wassersportler »Die Summe der einzelnen Risiken macht die Gefahr!« – und das haben Sie selbst in der Hand.