Kanadas Northwest Territories bergen ein Geheimnis, das sich herumsprechen sollte. Es handelt sich um die längste Paddelroute Kanadas, auf der das Kanu nicht ein einziges Mal umtragen werden muss! Wo das? Auf dem mächtigen Mackenzie River, der sich hoch oben im Norden des Landes durch die Provinz wälzt, vorbei an schroffen Gipfeln und borealen Wäldern, über den Polarkreis, das Mackenzie Delta hinab und geradewegs zum arktischen Ozean. Mit einer Länge von 1903 Kilometern ist der Mackenzie River der längste Fluss Kanadas. Er entwässert ein Fünftel des Landes und bewahrt gleichzeitig die Mystik eines abgelegenen Grenzflusses. Der auch »Deh Cho« (Großer Fluss) genannte Mackenzie war jahrhundertelang der »Superhighway« des Nordens und verband die vielen indigenen Völker, die an seinen Ufern fischten, jagten und Fallen stellten. Auch heute noch ist das Paddeln auf dem Mackenzie die beste Art und Weise, das Herz der Northwest Territories zu erkunden.
Erprobte Kanuten mit viel Zeit erobern den Mackenzie von der Quelle bis zum Meer. Vom Great Slave Lake aus dauert es vier bis sechs Wochen, um den Fluss komplett mit dem Kanu oder Kajak zu befahren – verständlich also, das der Strom im Norden liebevoll »Big Mac« genannt wird. Eine gigantische Strecke, die man natürlich in einzelne Etappen unterteilen kann.
Great Slave Lake und Mills Lake
Das Kanu wird am besten in der freundlichen Gemeinde Hay River zu Wasser gelassen, Zentrum der South Slave Region und Tor zum Great Slave Lake. Nach einem kurzen Stück auf dem See erreicht man bereits das Quellgebiet des Mackenzie Rivers.
Augen auf, denn nun geht es auf dem Fluss zunächst ein gutes Stück durch das Mackenzie Bison Sanctuary, der Heimat des größten Landtiers in Nordamerika, dem majestätischen Waldbison. Mit einer Schulterhöhe von bis zu 1,80 Meter und einem Gewicht von fast einer Tonne stellen die Waldbisons selbst ihre etwas helleren Cousins aus der Prärie in den Schatten. Die Chancen stehen nicht schlecht, die imposanten Tiere direkt vom Kanu aus zu sichten.
Das nächste Strecken-Highlight ist die neue Deh Cho Bridge, unter der man kurz vor der kleinen Stadt Fort Providence hindurchfährt. Das monumentale Bauwerk ist tatsächlich die einzige Brücke, die den Mackenzie River überspannt, und erstreckt sich über mehr als einen Kilometer von Ufer zu Ufer. In der Mitte des Flusses ragt die Brücke rund 30 Meter über das Wasser, so dass nicht nur Kanus, sondern auch Lastkähne und andere große Schiffe darunter hindurchfahren können.
Fort Providence ist eine freundliche Siedlung der Dene und Métis und liegt an der Nordseite des Flusses. Mit ihren authentischen Kunsthandwerksläden lädt sie zu einem Zwischenstopp ein.
Beim Überqueren des riesigen Mills Lake sollte man unbedingt nach den hier heimischen Wasservögeln Ausschau halten. Der See ist so breit, dass man kaum von einer Seite zur anderen schauen kann. Nachdem sich der Mackenzie River wieder verengt hat, erreicht man die kleine Ortschaft Jean Marie River. Dieses idyllische, traditionelle Dorf ist der perfekte Platz, um ein Picknick am Hochufer zu genießen.
Keine Straßen mehr
Ein weiteres Stück flussabwärts gelangt man schließlich nach Fort Simpson, wo sich der Liard und Mackenzie River treffen. Mit 1200 Einwohnern ist der Ort die größte Siedlung der Region und zugleich Ausgangspunkt für Touren in den Nahanni National Park. Eine ideale Gelegenheit, um die Vorräte aufzufrischen und die lokalen Sehenswürdigkeiten unter die Lupe zu nehmen.
In der Nähe von Camsell Bend erscheinen erstmals die Berge am Horizont. Sie werden für den Rest der Tour in Sichtweite sein.
Als Nächstes? Fort Wrigley. Diese malerische Gemeinde liegt am Ende des Mackenzie Highways. Für die kommenden Wochen wird man nun außerhalb der Reichweite von Straßen unterwegs sein. Am Zusammenfluss von Bear und Mackenzie River erreicht man schließlich im Schatten des legendären Bear Rock die kleine Ortschaft Tulita. Obwohl sie außerhalb des Parkgeländes liegt, befindet sich hier die Zentrale des Nááts’ihch’oh National Parks – seines Zeichens ebenfalls ein Paradies für Kanuten!
Bald darauf kommt man an den berühmten Ölfeldern des Mackenzie vorbei. Hier fördern riesige Pumpen auf künstlich angelegten Inseln in der Flussmitte fleißig Erdöl aus den Tiefen des Flussbettes.
Das industriell geprägte Norman Wells ist ein weiterer idealer Ort, um sich eine Pause vom »Big Mac« zu gönnen. Hier gibt es Lebensmittelläden, Restaurants, Museen – und sogar einen Golfplatz.
Über den Polarkreis
Massive Kalksteinklippen zwängen den Mackenzie River kurz vor der kleinen Dene-Gemeinde Fort Good Hope regelrecht ein. Die steil abfallenden Ramparts bilden einen imposanten Canyon, den es zu durchpaddeln gilt. In Fort Good Hope bietet sich ein weiterer Landgang an. Die dortige Kirche ist eine der ältesten und berühmtesten historischen Stätten in Nordkanada.
Kurz hinter Fort Good Hope überquert der Mackenzie River schließlich den Polarkreis. Hier kann man zur Sommersonnenwende die ganze Nacht aufbleiben und der Sonne beim Nicht-Untergehen zuschauen. Je weiter man dem Fluss nach Norden folgt, desto länger werden die Tage im Sommer.
Nun erreicht man die historische Gwitch’in-Gemeinde Tsiigehtchic, wo der Arctic Red River in den Mackenzie mündet. Tsiigehtchic ist nach vielen, vielen Kilometern auf dem Fluss endlich auch wieder eine Ortschaft, zu der man alternativ auf dem Landweg gelangen könnte – und zwar über den legendären Dempster Highway.
Nun beginnt das gewundene Labyrinth des Mackenzie-Deltas. Die unzähligen sumpfigen Kanäle sind eine Oase für die Tierwelt.
Wenig später heißt es: Willkommen in Inuvik! Die Hauptstadt der westlichen Arktis ist mit 3500 Einwohnern die größte Stadt am Mackenzie River und nördlich des Polarkreises. In Inuvik gibt es Geschäfte zum Auffrischen der Vorräte, zwei Campingplätze und eine Reihe an Besucherprogrammen, darunter verschiedene, gut organisierte Touren durch die Stadt und zur berühmten Iglu-Kirche. Auch Tagesausflüge in die westliche Arktis sind ab hier möglich.
Weiter geht es nach Tuktoyaktuk, der kleinen Inuvialuit-Gemeinde am Rande der Beaufortsee mit sagenumwobener Geschichte und legendären Geschichten. Bei einem »Lunch with the Locals« kann man aus erster Hand von den Traditionen und dem modernen Leben der Inuvialuit erfahren. Tuktoyaktuk liegt inmitten der weltweit größten Konzentration von Pingos. Diese Hügel sind eine Art periglaziale Landschaftsform, denn sie entstehen durch einen Prozess des Gefrierens und Tauens. Rund 1350 Pingos gibt es auf der Halbinsel von Tuktoyaktuk, in etwa ein Viertel aller Pingos weltweit. Der Ibyuk ist mit etwa 49 Metern der höchste Pingo Kanadas und bildet zusammen mit sieben weiteren Pingos das »Pingo National Landmark«. Parks Canada bietet geführte Touren zu diesem natürlichen Wahrzeichen der Region an.
Ende gut, alles gut – das Ziel ist erreicht! Hier, an der Flussmündung in Tuktoyaktuk, ergießt sich der mächtige Mackenzie River in den Arktischen Ozean. Bei einem erfrischenden Fußbad im eisigen Nass des Nordpolarmeers darf man gerne stolz auf eine bemerkenswerte Paddelreise zurückblicken. Stattliche 1800 Kilometer – und das ganz ohne Portagen!
Indigene am Mackenzie River
Die nördlichen Athabasken bevölkern die Northwest Territories, außerdem das Yukon Territorium und Nunavut sowie die südlich angrenzenden Gebiete in den Provinzen British Columbia, Alberta, Saskatchewan und Manitoba. Sie selbst bezeichnen sich heute meist als Dene oder Dené (»Volk«). Zu den zahlreichen Stammesgruppen der Athabasken zählen auch die Gwitch’in, die ebenfalls Gebiete am Mackenzie River besiedeln. Ganz im Norden leben die Inuvialuit, eine Inuit-Volksgruppe der westkanadischen Arktisregion.
Nützliche Links
Weitere Infos über die Northwest Territories: www.spectacularnwt.de.
Anbieter: North Star Adventures, https://northstaradventures.ca.
Buchbar in Deutschland bei SK Touristik: www.sktouristik.de.
Der Mackenzie River
Ursprung: Great Slave Lake
Mündung: Mackenzie-Bucht der Beaufortsee, Arktischer Ozean
Länge: 1903 km
Quellhöhe: 156 m
Sohlgefälle: 0,08 ‰
Einzugsgebiet: 1.805.200 km2